| |
|
Erschienen am 20. Aug 2002 |
Annetts Zuhause - alles Schlamm
DRESDEN IM SCHOCK. Die Flut läuft ab - erst jetzt
wird das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar.
Von Geneviève Wood
Dresden -
Das
Wasser ist weg. Statt dessen gibt es Schlamm, überall Schlamm. Im
Wohnzimmer, im Schlafzimmer, in der Küche. Dazu dieser
säuerlich-modrige Gestank. Mittendrin in diesem Chaos steht Heike
Hauswald (38) aus dem Dresdner Stadtteil Laubegast. Fassungslos. "Das
ist unvorstellbar! Erst vor vier Wochen sind wir hier eingezogen, und
jetzt ist alles hin." Vor einer Woche hat sie die Küche einbauen
lassen. Die anthrazitfarbenen Möbel sehen noch irgendwie in Ordnung
aus - von außen. Aber als Frau Hauswald die Schranktür öffnet, strömt
ihr eine dunkelbraune Brühe entgegen. Töpfe und Pfannen purzeln raus.
Der Parkettfußboden ist aufgerissen. Zwischen den einzelnen
Holzplatten liegt schwarzer, nasser Sand. Die Zwei-Zimmer-Wohnung in
der Fährstraße 1 ist völlig zerstört. Das Pech von Heike Hauswald und
ihrer Tochter Beatrice (17): Ihre Wohnung liegt im Erdgeschoss, gerade
mal 200 Meter von der Elbe entfernt. Als am Mittwoch die Flut kam,
stand das Wasser innerhalb weniger Stunden 1,30 Meter hoch in der
Wohnung.
Jetzt, wo das Wasser gegangen ist, können die
Menschen zurück in ihre Wohnungen. Oder in das, was davon übrig
geblieben ist. Die Dresdner sind erschüttert, stehen vor den Trümmern
ihrer Existenz. Und müssen doch die Kraft finden, alles aufzuräumen.
Und jetzt kommt neue Gefahr von unten: Das Grundwasser droht, Hunderte
Häuser zu zerbersten. Es steigt stündlich um zehn Zentimeter. "Das
Wasser hebt die Häuser an wie Schiffe. Die komplette Baustatik wird
zerstört", sagt Christian Korndörfer vom Dresdner Umweltamt. Besonders
gefährdet sind leichte Häuser aus Glas. Ein Gymnasium in Dresden
musste bereits geflutet werden, um das Gewicht des Gebäudes zu
erhöhen. Und beim Herzzentrum haben die Hamburger Feuerwehrleute 20
000 Sandsäcke auf die Tiefgarage gelegt, damit das Grundwasser die
Klinik nicht hochdrücken kann.
Heike Hauswald wird wohl nie wieder in ihrer Wohnung leben können.
"Dass dieses Haus nicht mehr bewohnbar sein wird, ist mir klar. Der
Boden ist ja total schief", sagt sie und greift wieder zur Schaufel.
Seit dem frühen Morgen schippen die Angestellte und zwei Bekannte den
Schlamm aus den Zimmern, schleppen die kaputten Küchenmöbel raus vor
die Tür. Dort am Straßenrand liegen schon die blaue Couchgarnitur, der
Fernseher, Stühle und Tische. Die Zufahrt zur Straße ist immer noch
überflutet, Autos kommen nicht durch. "Bis auf ein paar Kisten mit
alten Fotos und wichtigen Unterlagen ist alles hin", sagt Frau
Hauswald. Wie es weitergehen soll? "Keine Ahnung, ich wohne jetzt erst
mal bei meinem Ex-Mann."
Draußen auf dem Hof hängt Nachbarin Annett Gadau (19) Wäsche auf. Sie
wohnte zusammen mit ihrer Mutter und der pflegebedürftigen Oma (76) im
Erdgeschoss, sie haben die vergangenen Nächte bei Bekannten verbracht.
Gestern dann der Schock: "Ich kann es immer noch nicht glauben, wie es
hier aussieht. Wir sind alle mit den Nerven fertig", sagt sie. Aber
die Wohnung, ihr Unglück, will sie unbedingt zeigen. Niemand kann sich
sonst vorstellen, wie zerstörerisch Wasser sein kann.
Im Flur türmen sich Schränke, Schuhe, Klamotten. Als ob eine Bombe
eingeschlagen hätte. Die Tapeten hängen von den Wänden, der Teppich
ist voll gesogen mit Schlamm. Die junge Frau steht verloren in ihrem
Zimmer. "Das Bett stand hochkant an der Wand, als ich hier ankam",
erzählt sie und kämpft mit den Tränen. Sie blickt hinüber auf ihren
Schreibtisch - und lächelt.
Dort liegen ein paar Bilderrahmen. Dreckig zwar, aber nicht völlig vom
Wasser durchnässt. "Das ist mein Freund", sagt sie stolz, "und das bin
ich. Für die Aktaufnahmen musste ich sehr viel bezahlen." Vielleicht
helfen ihr die Bilder zurück - zurück ins normale Leben.
|
|
|